"MACKEN WIE GEDICHTESCHREIBEN ... UND WER IST DENN DAS, D I E L I T E R A T U R ?"

NAHBELL-INTERVIEW PER SMS MIT NITSCHE

Im August 2012 trafen sich der bei Bremen lebende Alex Nitsche und der Neuddorfer Tom de Toys am Düsseldorfer Altstadtufer erstmals nach einem Jahrzehnt wieder, als Nitsche unterwegs zu Ron Schmidt nach Goch an den Niederrhein war, um deren dritten gemeinsamen Gedichtband "GOLD" zu konzipieren. Seitdem schicken sich Nitsche & De Toys ihre neuesten Gedichte per SMS. Daraus entstand die Idee des G&GN-Verlages, Nitsches gesammelte SMS-Gedichte in der rein virtuellen Edition P.D.F. (Poemie Digital Fusion) zu veröffentlichen. Vorher wurde bereits im Dezember 2013 das große Nahbell-Interview mit Alex Nitsche ebenfalls per SMS geführt, das wir hier im Originalwortlaut wiedergeben und das sich dann 2014 im Anhang des PDF-Publikats (Titel: "alles und alles") wiederfindet.

ALEX NITSCHE: "alles und alles", G&GN-Edition P.D.F.
Die Gedichte wurden per SMS-Funktion zweier Mobiltelefone 2013-2014 an den G&GN-Verlag übermittelt. Bei dem vorliegenden PDF-Publikat handelt es sich um eine exklusive Erstveröffentlichung dieser "SMS-POEME"...
ALEX NITSCHE alles und alles 2014.pdf
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1.NAHBELLFRAGE (2.12.2013):
Du arbeitest ja nebenbei auch als Lehrer. Können die Schüler da von Deinen Kompetenzen als Lyriker und Gärtner irgendwie profitieren? Oder kommen die lieber zu den Slams, die Du moderierst, weil das verrückter und wilder ist als die Schule erlaubt?

 

1.NAHBELLANTWORT (3.12.2013):
die schüler profitieren von mir als ganzen menschen mit allen knicks in der biografie und allen macken wie eben gedichteschreiben. Zu den slams kommen die schüler nicht,aber das hat geografische gründe.

 

2.NAHBELLFRAGE (3.12.2013):
Wie bist du denn an die rolle des slam moderators geraten? Geht das noch auf deine beteiligung an der socialbeat bewegung zurück?

 

2.NAHBELLANTWORT (4.12.2013):
15 jahre nach socialbeat war es einfach an der zeit poetryslam neu zu beleben.die idee eines slams im wendland kam nicht von mir,aber ich hab mich begeistern lassen.

 

3.NAHBELLFRAGE (4.12.2013):
Schreibst du auch selber "slamtaugliche" texte oder wer liest und wem gefällt dein lyrischer stil? Bist du an irgendwelchen traditionen oder autoren orientiert?

 

3.NAHBELLANTWORT (6.12.2013):
meine texte sind ziemlich vielfältig,und manche nur und nur für die bühne geschrieben.einflüsse und inspirationen hab ich nicht nur literarische. Musik film kunst bach beuys brecht und rilke rimini protokoll ginsberg und sonic youth und und und.

 

4.NAHBELLFRAGE (6.12.2013):
produzierst du noch immer künstlerisch hochwertige lyrikbände mit handbemalten covern in kleinstauflagen wie in alten zeiten? Lässt sich das ideologisch mit diesem digitalen sms-doppelprokekt (pdf-publikat & interview) vereinbaren?

 

4.NAHBELLANTWORT (7.12.2013):
ich entwickle meine buchkunst immer irgendwohin weiter.digitale impulse schließe ich da nicht aus.mit ron schmidt arbeite ich gerade an einem projekt:sms-kompress,bekannte literarische inhalte auf 140 zeichen eingedampft.

 

5.NAHBELLFRAGE (7.12.2013):
Du bist ja durch das ddr-system staatlich geprüfter dichter. Hat dir das damals für dein prestige irgendwelche vorteile eingebracht? Oder galtest du als schräger intellektueller und wurdest von der stasi bespitzelt? Was hältst du von heutigen literaturinstituten wie dem leipziger?

 

5.NAHBELLANTWORT (7.12.2013):
in den späten 80er jahren der ddr gab es soetwas wie eine geduldete opposition die natürlich bespitzelt wurde.mein politisches erwachen und meine ersten gedichte fallen in diese zeit.ich war damals 16,17, ziemlich jung und punk was 1988 auch im osten nichts wirklich außergewöhnliches war.über die bedeutung des literaturinstituts,frag mal nen historiker und keinen zeitzeugen.

 

6.NAHBELLFRAGE (7.12.2013):
Wieviele gedichtbände hast du mittlerweile in eigenregie publiziert? Und von welchen kollegen hast du gedichte bibliophil in szene gesetzt?

 

6.NAHBELLANTWORT (8.12.2013):
das konzept gedichtband hab ich aufgelöst und moderiere aus etwa 500 texten kompilations die dann gestaltet gebunden einzelstücke sind und die ich nicht zähle. Langjährige zusammenarbeit verbindet mich mit ron schmidt und tao kugler. Mein erstes in linol geschnittenes buch hab ich mit texten von dir gemacht.

 

7.NAHBELLFRAGE (8.12.2013):
Hat die verleihung des nahbellpreises an dich 2004 irgendeine (gute oder schlechte) auswirkung gehabt? Thomas Kunst erzählte, daß leute in seinem umfeld tatsächlich glaubten, der nahbellpreis sei deutschlands wichtigster lyrikpreis. Was für ein verhältnis hast du zu preisen und stipendien?

 

7.NAHBELLANTWORT (8.12.2013):
sicher ist der nahbellpreis der wichtigste deutsche lyrikpreis. Mich erwischte er voll in einer dreijährigen kunstkrise erschöpfung und sinnfrage. Zusammenhang und stellenwert hab ich immer noch nicht ganz vergegenwärtigt fühle mich aber sauwohl und zuhause in gesellschaft der anderen preisträger.

 

8.NAHBELLFRAGE (8.12.2013):
Dein kommender sms-gedichtband "ALLES UND ALLES" (oder titel klein geschrieben? was ist dir lieber?)* im g&gn-verlag wird von einem titellosen gedicht eröffnet, das du am 31.8.2012 als sms gesendet hast, ich zitiere es hier vollständig als exklusives preview:

 

unterm schweißfilm der oberflächen arbeiten zufall und schicksal an ihrem gewebe aus liebe und raum wo wir vergangne jahre zu goldfäden spinnen die kaum sichtbar sind dünner als haar und schwerer als blei.

 

Was hat dich dazu inspiriert? Kannst du den leser ein wenig in das geheimnis des entstehungsprozesses einweihen? Wer oder was dich inspirierte und wie es entstand: als allmähliche schwere geburt oder urplötzlich in einem guss oder wie sonst?

 

8.NAHBELLANTWORT (8.12.2013):
die sehr kurzen gedichte sind minutenreflektionen rückblicke vergegenwärtigungen mehr so in der art eines polaroidfotos als eines haikus stimmungsbild und seinsvergewisserung zugleich. Schwerer als blei ist genau in so einem moment entstanden. Jeder kennt diese existentialistischen momente im leben.

 

9.NAHBELLFRAGE (8.12.2013):

Geben dir diese existenzialistischen momente der seinsvergewisserung den mut und das selbstbewußtsein, "normale sätze", die durch solche zustände auftauchen, als gedichte zu empfinden? Hast du eine poetologische theorie für solche modernen, versfreien texte oder überlässt du das lieber den germanisten?

 

9.NAHBELLANTWORT (8.12.2013):
wenn ein satz wie dieser gesagt geschrieben in mir dir oder jemand ganz anderen resoniert,etwas zum schwingen bringt, klang verursacht der sich spiegelt in einem anderen klang dann ist das, ja, ein gedicht.zu entscheiden,wann ein gedicht ein gedicht ist kann jeder der sich versteht im sinne von"jeder mensch ist ein künstler".

 

10.NAHBELLFRAGE (8.12.2013):
Bei deinen erläuterungen denke ich auch an abraham maslows transpersonale sicht auf die menschliche kreativität. Aber hast du eine vermutung, warum trotzdem so wenige menschen gedichte schreiben und viele literaturliebhaber die lyrik sogar für die am schwierigsten zu lesende disziplin halten, obwohl doch "existenzialität" und das spüren von "schwingungen" zur grundausstattung der menschlichen wahrnehmung zählen?

 

10.NAHBELLANTWORT (9.12.2013):
ich denke es ist ein mangel an innerer freiheit sich auf kreative prozesse einzulassen die dann evtl.mit schmerzen verbunden wären.ich sehe eine weitverbreitete angst vor kunst, lyrik, beziehung, verantwortung usw.eine leugnung des menscheignen spieltriebs,eine hinwendung zur puren vernunft die niemals siegen darf ums mal mit tocotronic zu sagen die ich hier gerade höre.

 

11.NAHBELLFRAGE (9.12.2013):
In der jüngsten betriebsinternen lyrikergeneration (den wahren underground muß man natürlich abseits der offiziellen events suchen) findet ja derzeit eine renaissance der "politisierung" von lyrik und der "poetisierung" des lebens statt. Siehst du darin einen mutmachenden zeitgeist oder sind das nur die üblichen jugendkulturtrends, die dann verpuffen, sobald job und ehe die sehnsucht nach "mehr" betäuben?

 

11.NAHBELLANTWORT (9.12.2013):
ich weiß daß mein optimismus fahrlässig ist aber was ich zb auf unserem poetryslam sehe und höre von der generation finanzkrise ist erstaunlich reif und selbstreflektiert und idiologiebefreit...das lässt doch hoffen und vermuten daß da aus nem trend heraus lebenshaltungen kondensieren die diesem planeten guttun.

 

12.NAHBELLFRAGE (9.12.2013):
...die auch der literatur gut tun? Wirkt sich das auch auf die ästhetischen kriterien für lyrik aus? Sogar auf ihre bewertung bzw bewertbarkeit?

 

12.NAHBELLANTWORT (10.12.2013):
lyrik ist allgemein nicht bewertbar.ob ein gedicht gut oder schlecht ist so subjektiv und oft erst mit einem abstand von 20 jahren möglich und wer ist denn das,d i e  l i t e r a t u r  ?

 

13.NAHBELLFRAGE (10.12.2013):
Glaubst du denn, daß literatur die welt direkt verändern kann, also die "suggestive" kraft der geschriebenen gedanken einfluss auf handlungen hat? Oder ruht die kunst nur in ihrem vergeistigten selbstzweck, gefangen in der gunst des rezipienten?

 

13.NAHBELLANTWORT (10.12.2013):
literatur formt innere haltung,öffnet horizonte und herzen,schafft bewußtsein.nicht mehr und nicht weniger sollte man von kunst erwarten.das verändert die welt nicht direkt aber nachhaltig.

 

14.NAHBELL"FRAGE" (10.12.2013):
Ein schöneres schlußwort als deine letzte antwort, mein lieber alex, kann ich mir gar nicht vorstellen! Übertrumpft wird es nur von deinem eigenen frischen, zehnten sms-poem, dessen anfang ich jetzt noch als i-tüpfelchen und in vorfreude auf das pdf zitieren möchte und mich für deine zügigen, ehrlichen und erhellenden statements  bedanke:


"kaum stille in und um mich rum herzkranker himmel..."

(axn, 10.12.2013)

 

* 8. Nitsches Antworten auf die Frage nach der Orthografie seiner Gedichte:

"immer alles klein" und "Nitsche nur echt mit punkt am ende." (8.12.13)

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