Sendeprotokoll: "POEMIE – Der Wille zur Dichtung: eine Neue Epidemie"

Originales Sendeprotokoll des 9.1.2004 von 19-20 Uhr:
Teil 4: "Ego und Extase beim schöpferischen Akt"
Moderator Lord Lässig im Interview mit Tom de Toys bei
RADIORIFF AUF REISEN auf UKW 104,1 FM Mhz Lokalfunk Berlin


 

Sendeprotokoll des 9.1.2004

von 19-20 Uhr:


 "POEMIE – Der Wille zur Dichtung: eine Neue Epidemie" 


 Teil 4: "Ego und Extase beim schöpferischen Akt" 


Moderator Lord Lässig im Interview mit Tom de Toys

 


Im Rahmen des Projekts "RADIORIFF AUF REISEN" moderierte Lord Lässig auf Einladung der Radiokampagne.de  den 4.Teil der Poemie-Serie, die beim Juniradio.net  2003 begann. Statt der üblichen Live-Studiogäste stellte Lord Lässig hier lyrische Eigenproduktionen von Tom de Toys vor und spielte Spokenword-Tracks von dessen HOLZHUND-Seite  ein. Geplant war, daß De Toys anläßlich der neuen Studentenproteste sowohl "EXTASE STATT ELITE" (Kurzform von 1997, letztmals beim Stuttgarter German Grand Slam 2001 aufgeführt) live aus dem Studio intoniert als auch dessen Originalvorlage "LANGEWEILE" (3-fache Länge von 1994), das bereits per Megafonverzerrung auf der Abschlußkundgebung vor dem Rathaus in Kiel (Winter 1997/98) 5000 Demonstranten zum Mitgrölen des Refrains ("in deutschland is nix los") bewegte, aber De Toys dazu veranlaßte, zukünftig sämtliche privaten Zeilen zu streichen, die für radikale Zwecke überflüssig sind. Lord Lässig sollte in der Sendung beide Versionen kritisch miteinander vergleichen und mithilfe des Autoren herausfinden, ob die Kürzungen aus politischer sowie poetischer Sicht gelungen sind. Außerdem stand natürlich zur Debatte, inwiefern Lyrik überhaupt tageslichttauglich (zeitgemäß im Gegensatz zum Dumontschen Pseudo-"Jetzt") ist - und warum das "direkte" Moment der Direkten Dichtung weder auf die spontan-sensualistische Egomanie des Subjekts abzielt (R.D.Brinkmann) noch als dialektische Antipode zum pathetisch-coolen Metaphernwahn ("Celangweiler" wie B.Kuhligk) gemeint ist, sondern "ekstatische" (transpersonal-spirituelle) Ebenen integriert, die in einer seelenlosen Ich-AG-Epoche tabuisiert werden. Hier können Sie nun exklusiv den realen Verlauf des Interviews als Dokumentation des Sendeprotokolls nachlesen:

 

L.L.:   [[CD-Einspielung "SCHRÖDER MEDITIERT" von 18:57:10 bis 19:02:00]]  Es ist kurz nach neunzehn Uhr, Sie hören nicht die Nachrichten sondern eine Stunde Live-Literatur aus Berlin-Mitte am neunten Januar Zweitausendvier auf Hundertvier-Komma-Eins Megaherz im We We We Punkt Radioriff Punkt De Eh. Am Mikrofon begrüßt Sie megaherzlich Lord Lässig beim vierten Teil der Reihe "POEMIE – der Wille zur Dichtung: eine Neue Epidemie". In den vorigen drei Teilen morgens um Fünf hießen unsere Studiogäste Esther Kaiser (vom Projekt "Jazz Poems"), Bridge Markland (eine Transgender-Performerin) sowie HEL ToussainT und Bert Papenfuß, zwei Prenzlbergdichter. Heute sitzt neben mir als Interview-Partner der damalige Moderator und Lyrik-Performer Tom de Toys. Guten Abend, Herr De Toys!

 

T.de.T.:  Ja, hallo. Und Danke für die Einladung!

 

L.L.:  Das Thema dieses vierten Teils lautet "Ego und Extase beim schöpferischen Prozess". Können Sie damit etwas anfangen, Herr De Toys? Aber halt: Bevor Sie uns in die Geheimnisse Ihrer sogenannten "Direkten Dichtung" einweihen, möchte ich unseren Zuhörern zunächst einmal ein Stück von Ihrer Em-Pe-Drei-Seite vorspielen, dessen Text Sie letztes Jahr anläßlich des Irakkrieges geschrieben haben. Es heißt "ÜBERGAR(ANTIE)" und darin finden sich zwei Zeilen, die das Thema Ego und Ekstase aus tiefenphilosophischer Sicht beleuchten, nämlich die Zeilen "dichter denken plötzlich was sie wollen / unsre seele hat nichts zu verzollen"  und das klingt dann mit der Untermalung von der HOLZHUND-Musik so:  [[CD-Einspielung folgt]]  Das war "ÜBERGAR(ANTIE)" von Tom de Toys, der hier neben mir in einem der zahlreichen Radioriff-Studios sitzt. Jetzt frag ich doch mal direkt: Warum fehlt denn da die dritte Strophe?

 

T.de.T.:  Oh, das ist ganz einfach: Sie war noch nicht gedichtet, als wir die Aufnahme gemacht haben. Aber sie paßt eigentlich ganz gut zu den aktuellen Studentenprotesten!

 

L.L.:  Aha. Könnten Sie die Strophe denn eventuell mal vorlesen?

 

T.de.T.:  Ja klar, gerne. Aber bitte hör auf, mich zu Sietzen. Das find ich echt fürchterlich. Ich heiße Tom und wir sind ja hier schließlich unter uns! Also: [[3.Strophe-Rezitat folgt]]

 

L.L.:  Mhm... das erinnert mich ja stark an den Zorn, mit dem die Socialbeat-Bewegung Anfang der 90er ihr Coming-Out hatte. Fühlst Du Dich damit noch verbunden?

 

T.de.T.:  Oh ja. Damals, besonders 1993, wurde viel diskutiert über zwei Tendenzen: Wut und Vision. Hadayatullah Hübsch hat das in einem Radiofeature ganz gut dargestellt. Für mich ist die Wut das Ego und die Vision die Ekstase. Ich habe ja selber damals noch in Köln studiert und war an den Streiks im Winter 89/90 beteiligt. Und ähnlich wie die Berliner Studenten hier jetzt eine sogenannte "Offene Uni" ausgerufen haben, war ich damals der erste sogenannte "Freie Prophessor" der "AlbertA MagnA Uni". Das war so ein typisches linkes Wortspiel, aus Albertus Alberta zu machen. Letztlich war mir der Universitätsbetrieb aber zu langweilig. Da passierte nicht viel, während sich die Kräfte in der "Undergroundliteratur"-Szene allmählich bündelten. Ich hab dann das Kunsttherapie-Studium abgebrochen und ein Jahr später so ein Gedicht geschrieben, in dem ich versucht habe, diese gähnende Langeweile irgendwie zu beleuchten.

 

L.L.:  Hast Du das zufällig dabei?

 

T.de.T.:  Jupp! Soll ich es mal vorlesen? Ist allerdings ziemlich lang...

 

L.L.:  Das macht nichts, wir haben Zeit genug. Lies einfach mal!

 

T.de.T.:  OK. Also, es heißt auch ganz einfach "LANGEWEILE".  [[Original-Rezitat folgt]]

 

L.L.:  Ah ja... irgendwie kommt mir das bekannt vor. Kann es sein, daß es da noch eine kürzere Version gibt, ohne diese extrem privatistischen Zeilen mit dem Bart, "mal mit bart mal ohne", und diesen brutalen Stellen, wo Du auf das verkorkste Verhältnis der Gesellschaft zur Sexualität eingehst?

 

T.de.T.:  Ja, das gibt es. Es heißt in der kurzen Variante nicht mehr Langeweile sondern "EXTASE STATT ELITE". Aber das müßte ich noch ein bißchen heftiger vortragen, denn ich habe es 1997 so umgeschrieben, als ich bei den Studentenprotesten in Kiel eingeladen war, ein Gedicht auf der Abschlußkundgebung vor dem Rathaus vorzutragen. Eigentlich bräuchte ich dazu jetzt ein Megafon. Aber egal, ich versuch es mal so:  [[Kurzform-Rezitat folgt]]

 

L.L.:  Wenn ich richtig mitgezählt habe, sind das 70 Zeilen weniger als im Original, nämlich 87 statt 157, oder?

 

T.de.T.:  Ja, das stimmt. Puh, ich bin noch etwas außer Puste.

 

L.L.:  OK, dann gönnen wir uns erstmal eine Verschnaufpause und ich spiele ein Stück deiner CD "(G)RUNDRAUSCH". Und zwar heißt das Stück "KONTAKT"  mit dem gleichnamigen Gedicht von 1989. [[CD-Einspielung folgt]]  Sooo... nochmal zurück zu diesen gekürzten Zeilen: Was hast Du Dir davon versprochen?

 

T.de.T.:  Naja, das war halt ein Versuch. Ich mache das sonst nie, im Nachhinein (noch dazu nach Jahren) ein Gedicht verändern. Aber in diesem Fall hat mich einfach die Erfahrung in Kiel echt umgehauen: Da haben immerhin fünftausend Studenten ihre Fahnen geschwenkt und den Refrain mitgegrölt, also diese Zeile "in deutschland is nix los", während eben andere Stellen überhaupt nicht da hingehörten. Das war mir im Nachhinein echt peinlich, ich dachte, ich hätte alles falsch gemacht und mir die Tragweite der Situation nicht deutlich genug vor Augen gehalten. Normalerweise werden Gedichte ja eher vor Germanisten oder auf irgendwelchen Literaturevents wie Poetry Slams vorgetragen, aber das hier war ja ein völlig anderer Anlaß. Ich wollte einfach, daß mir solch eine Fehleinschätzung nicht nochmal passiert, sondern daß ich zukünftig zumindestens ein Gedicht immer in peto haben könnte, daß für ne politische Großveranstaltung taugt. Tja, und da lag es eben nahe, alles raus zu kürzen, bis eben die Grundbotschaft übrig bleibt, die über das Persönliche hinausgeht und eben diesen katastrophalen Zustand unserer Desinteresse-Gesellschaft (als Höhepunkt der kollektiven Egomanie) klar herausstellt.

 

L.L.:  Das klingt ja interessant. Ich lasse das jetzt mal einfach so stehen, denn wir sind zwar noch nicht ganz am Ende unserer Sendung angekommen, aber ich würde gerne zum Abschluß noch zwei weitere Stücke von Dir einspielen. Tom, ich danke Dir erstmal für Dein Kommen. Und ich bedanke mich sehr herzlich bei der We We We Punkt Radiokampagne Punkt De Eh  für die Sendezeit. Wenn Sie, liebe Zuhörer, ein freies Radio für Berlin wollen, können Sie sich dort online auf die Unterstützerliste eintragen. Dieses Projekt hier ist eine Zusammenarbeit zwischen Radiokampagne und "Radioriff auf Reisen". Sie hörten soeben und jetzt in dieser Sekunde noch immer den vierten Teil der Reihe "POEMIE – der Wille zur Dichtung: eine Neue Epidemie". Mein Name ist Lord Lässig und im Studio war live zu Gast Tom de Toys. Zum Abschluß spielen wir jetzt noch dessen bisher unveröffentlichtes Stück "MÄR(Z)"  (also März wie der Monat und dann das Zett in Klammern, wenn ich das hier richtig sehe, also vermutlich ist das dann als Mär gemeint, also der März und die Mär) und von der Em-Peh-Drei-Seite "ÜBERGEBET". Wer sich mal ein paar Spokenword-Tracks von Tom im Internet anhören will, der findet alles unter We We We Punkt Em Peh Drei Punkt Slash Holzhund. Und damit verabschiede ich mich nun und danke Ihnen fürs Zuhören. Viel Spaß bei "MÄR(Z)" und "ÜBERGEBET"!  [[CD-Einspielungen folgen]]

 

[Ende der Sendung um 19 Uhr 59 und 30 Sekunden.]

 

NACHTRAG: Am darauffolgenden Abend des 10.Januars 2004 fand im Rahmen der Studio-Abschlußparty des freien Radioprojektes "Radioriff auf Reisen" um Mitternacht die spontane Live-On-Air-Uraufführung der 4-seitigen Antiprosa "PARALLELTHEATER (INTERAKTIVE INSIDER)" statt, die Tom de Toys frisch vorher (von 21 bis 23 Uhr) im nicht weit vom Studio entfernten KingKongKlub geschrieben hatte. Aufgrund der stark gekrickelten, teilweise schwer entzifferbaren Faksimile-Vorlage kam es beim Vortrag zu mehreren Unterbrechungen, in denen sich der Autor über sich selbst amüsierte und vom Moderator Elektra aufgefordert werden mußte, nicht so viel zu lachen...

 

 

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